Kapitel 6: Weiterführender Umgang mit Hefe

6.1 Wilde Hefe und Bakterien

In heutigen Brauereien wird zur Herstellung vorwiegend Hefe der Gattung Saccharomyces verwendet. Dazu gehört die klassische obergärige Saccharomyces cerevisiae und die untergärige Hefe Saccharoymces pastorianus. Viele der heute industriell verwendeten Hefestämme sind nicht mehr mit den Stämmen zu vergleichen die in der Natur vorkommen. Brauer, Winzer wie Bäcker haben sich über die Generationen jene Hefen ausgesucht und selektiert, die für die jeweiligen Ansprüchen am geeignetsten sind. Für Winzer mögen alkoholtolerante Hefen von Vorteil sein, für Bäcker osmotolerante (die mit viel Zucker im Teig zurecht kommen) und Brauer suchten sich Stämme aus, die aromatische und klare Biere herstellen (hohe Ausflockung). Diese von Menschenhand selektierten Hefen werden auch als domestizierte Hefen bezeichnet und unterscheiden sich von den nicht domestizierten, auch wilde Hefen oder Fremdhefen genannt. Wilde Hefen sind demnach Hefen, die keine Domestizierung durchlaufen haben.

Wilde Hefen sind in den Brauereien (mit wenigen Ausnahmen) nicht erwünscht und gelten als Kontamination. Viele der wilden Hefen führen zu Trübungen im Bier (weil Ausflockung in wilden Hefen kein häufiges Merkmal ist), Fehlaromen oder zu tieferen Restextrakten. Zu den wilden Hefen gelten u.a. folgende Hefen:

  • Brettanomyces sp.
  • Candida sp.
  • Hansenula sp.
  • Kluyceromyces sp.
  • Kloeckera sp.
  • Debaromyces sp.
  • Rhodotorula sp.
  • Kahmhefen
  • Saccharomyces bayanus, S. exiguus, S cer. ellipsoideus

Wie schon erwähnt gibt es ein paar Brauereien, die wilde Hefen zur Bierherstellung verwenden. Dazu gehören Bierstile wie zum Beispiel Lambic und Geuze (auch Gueuze geschrieben), Flanders Red/Brown, Berliner Weisse, Old Ale und Spezialitäten wie Orval. Zusätzlich werden in letzter Zeit vermehrt Biere gebraut, die nur mit Brettanomyces vergoren wurden (vgl. Crooked Stave). Ohne die wilden Hefen wäre es unmöglich die oben erwähnten Biere herzustellen. Die wilden Hefen spielen dort eine sehr wichtige Rolle im Geschmacksprofil der Biere. Wir werden uns in den nächsten Kapiteln vertieft mit den einzelnen wilden Hefen, wie auch den jeweiligen Bierstilen beschäftigen.

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Fig 1: Wilde Hefen spielen eine Rolle bei der Herstellung von Geuze

In der klassischen Herstellung von Lambics zum Beispiel werden die wilden Hefen der Würze nicht bewusst zugegeben. Nach dem Kochen wird die kochend heisse Würze in ein Kühlschiff gepumpt (Fig 2) und über Nacht abgekühlt. Da die abkühlende Würze der Umwelt ausgesetzt ist, fallen diverse Mikroorganismen (u.a. auch wilde Hefen) in die Würze und nehmen an der späteren Vergärung teil. Da die Gärung in Holzfässern durchgeführt wird, werden wahrscheinlich auch Mikroorganismen aus dem Holzfass eine gewisse Rolle bei der Gärung mitspielen. Diese Vergärung wird auch als spontane Gärung bezeichnet da der Würze keine Hefe zugegeben wird. Lauter einer Untersuchung der Universität Leuven konnten in einem Lambic über 100 verschiedene Hefestämme, 27 verschiedene Essigsäurebakterien und 38 verschiedene Milchsäurebakterien nachgewiesen werden (Pamphlet Cantillon Brouwerij). Die spontane Gärung wird noch heute von Cantillon (sesshaft in Brüssel, Belgien) zur Herstellung ihrer Lambics angewandt. Dieser Prozess funktioniert jedoch nur im Winter zum Vorteil der Brauer weil nur dann die Temperaturen kalt genug sind die Würze über Nacht auf Raumtemperatur abzukühlen, und zusätzlich nur im Winter die richtigen Mikroorganismen in der Luft vorhanden sind. Im Sommer ist die Luft stark mit Schimmelsporen belastet was für die Herstellung von Bier nicht vorteilhaft ist.

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Fig 2: Kühlschiff bei Cantillon, Brüssel

Die folgenden Kapitel werden einige der wilden Hefen genauer behandeln. Des weiteren werden zwei Kapitel sich mit zwei Bakterien befassen die bei der Bierherstellung eine Rolle spielen.

Glossar

Domestizierte Hefe: Hefen die für industrielle Zwecke (u.a. Bierherstellung) verwendet werden und sich durch die neuen Umgebungen und menschliche Selektion über Generationen an die jeweilige Anwendung angepasst haben und sich von den ursprünglichen Hefen (nicht domestizierten) unterscheiden. Als domestizierte Hefen gelten u.a. Brauereihefen, Weinhefe, Brennereihefen und Bäckerhefe.

Wilde Hefen: Alle nicht domestizierten Hefen. Werden häufig auch als Fremdhefen bezeichnet.

Sponante Vergärung: Form der Vergärung die spontan auftritt und bewusst keine Hefe zugegeben wurde. Wird häufig bei der Herstellung von Lambics angewandt.

Bibliographie

6.1.1 Brettanomyces/Dekkera

Heute sprechen wir über eine wilde Hefe, Brettanomyces/Dekkera. Diese Hefe spielt bei der Herstellung von diversen Bieren eine wichtige Rolle und ich möchte mit diesem Kapitel etwas vertieft über Brettanomyces sprechen.

Claussen, der damals bei der Dänischen Brauerei Carlsberg arbeitete, isolierte 1903 eine neuartige, sehr langsam wachsende Hefe aus einem Britischen Stock Ale. 1904 sprach Claussen an einer Konferenz über seine Entdeckung und nannte die neuartige Hefe Brettanomyces (mit “myces” für Pilz und brettano für British). Heute meistens auch nur kurz “Brett” genannt. Claussen war es auch schon bekannt, dass diese Hefe für die speziellen Aromen im Britischen Ale zuständig waren. Um 1930 isolierten dann Krumbholz und Tauschanoff Brettanomyces zum ersten mal aus Weinproben. Noch etwas später, um 1940, beschäfftigte sich Custers etwas vertieft mit 17 verschiedenen Brettanomyces Hefestämmen. Er war unter anderem an der Vergärung der neuen Hefe interessiert und beobachtete, dass die Vergärung von Glukose zu Ethanol schneller unter aeroben Bedingungen (mit Sauerstoff) abläuft. Dieser Effekt wird heute auch als Negativer-Pasteureffekt oder Custer’s-Effekt bezeichnet. Zusätzlich zeigte Custers, dass Brettanomyces unter aeroben Bedinungen beachtliche Mengen an Essigsäure produzieren können. Van der Walt und van Kerken stellten bei einigen Brettanomyces Stämmen die Bildung von Ascosporen fest. Mit dieser Beobachtung empfahlen sie eine neue Spezies, Dekkera.

Schauen wir uns den Hefezyklus kurz an um die Einteilung von Brettanoymces und Dekkera zu verstehen. Beginnen wir mit einer diploiden (2n) Hefezelle. Das bedeutet, dass sie von jedem Chromosom zwei Kopien hat. Im Gegensatz zu haploiden (1n), die nur eine Kopie haben. Ein Chromosom ist ein Stück DNA das verschiedene Gene enthält. Ein Mensch ist ebenfalls diploid, je ein Chromosom haben wir von unserer Mutter und eines vom Vater erhalten. Im ganzen haben wir 23 verschiedene Chromosome und weil wir diploid sind, haben wir 46 (23 von der Mutter, 23 vom Vater). Ich habe die unterschiedliche Herkunft der Chromosome im Schema mit rot und blau gekennzeichnet (Fig 1). Eine Saccharomyces Hefe hat übrigens 16 Chromosome (Goffeau et al). Eine Hefezelle kann sich grundsätzlich durch Sprossung (asexuell) und durch Bildung von Ascosporen (sexuell) fortpflanzen (Fig 1). Bei der Sprossung teilen sich eine Mutterhefezelle und bildet eine Tochterzelle die genetisch identisch wie die Mutterzelle ist. Die Tochterzelle hat die gleichen Chromosome wie vorher. Bildet eine Hefezelle jedoch Ascosporen, kopiert sie zuerst die Kopien, wird damit tetraploid (4n) und teilt diese dann in vier haploide (1n) Ascosporen auf. Diese Sporen können sich dann ebenfalls fortpflanzen und als haploide Hefezellen existieren. Wenn sich zwei solche haploide Zellen finden, können sie sich zu einer Zelle verbinden und sind damit wieder diploid.

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Fig 1: Hefezyklus vereinfacht

Zurück zu Brettanomyces und Dekkera. Wie schon erwähnt, konnten Van der Walt und van Kerken bei einigen Brettanomyces die Bildung von Ascosporen beobachten und teilten alle Brettanomyces, die Ascosporen bilden konnten, zu Dekkera um. Kann ein Brettanomyces Stamm Ascosporen bilden, wird er demnach Dekkera genannt, falls dem nicht so ist, bleibt die Bezeichnung Brettanomyces. Das ist der Unterschied zwischen Bezeichnung Brettanomyces und Dekkera.

Brettanomyces/Dekkera Spezies

Mit den Jahren wurden immer mehr Brettanomyces Hefen isoliert und früher jeder, der einen neuen Organismus entdeckte, einen Namen dafür geben. Man kann sich vorstellen, dass über die Jahre verschiedene Entdecker für die gleichen Stämme unterschiedliche Namen vergaben. Mit der Möglichkeit die DNA der Hefen genauer zu studieren, wurde dann auch versucht, die Hefen taxonomisch zu klassifizieren. Über die Jahre wurde die Klassifizierung immer wieder geändert und seit 2000 sind fünf verschiedene Brettanomyces/Dekkera Spezies akzeptiert:

Dekkera anomala (synonym: Brettanomyces anomalus)
Dekkera bruxellensis (synonym: B. bruxellensis, B. lambicus)
Brettanomyces custersianus
Brettanomyces naardenensis
Brettanomyces nanus

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Fig 2: Taxonomische Klassifizierung der Brettanomyces/Dekkera Spezies

Laut Definition gelten Organismen mit einer DNA-DNA Übereinstimmung von 70% zur gleichen Spezies. Ist die Übereinstimmung kleiner, wird dieser Organismus als eigene Spezie akzeptiert. Im Beispiel von Brettanomyces sind sich z.B. B. bruxellensis und B. lambicus sehr ähnlich und werden daher zur gleichen Spezies Dekkera bruxellensis gezählt (Fig 2). Das gleiche gilt für B. claussenii und B. anomalus. B. bruxellensis und B. lambicus sind daher Synonyme für die taxonomisch korrekte Bezeichnung D. bruxellensis. Soweit zur Taxonomie. Ich möchte hier nur erwähnt haben, dass die Taxonomie noch nichts mit den Eigenschaften der jeweiligen Stämme zu tun hat. Nur weil zwei Hefestämme gleich klassifiziert werden heisst das noch lange nicht, dass sie sich biochemisch gleich verhalten (bspw. das gleiche Bier entsteht). So werden zum Beispiel eine Weizen- und eine Amerikanische Ale Hefe gleich klassifiziert, die Biere, die mit diesen Hefen entstehen, sind aber sehr verschieden. Das gleiche gilt für BrettanoymcesB. bruxellensis und B. lambicus werden gleich klassifiziert, verhalten sie sich bei der Vergärung jedoch komplett verschieden. Fazit: Ein Brauer muss sich nicht um die taxonomische Klassifizierung der Hefen kümmern. Für einen Brauer ist generell wichtig zu wissen, was die jeweilige Hefe für Geschmacksprofile hervorbringen kann.

Wo kommen die Brettanomyces her?

  • D. anomala wurde aus Lambics, Gueuze und Wein isoliert.
  • D. bruxellensis ist eine weitverbreitete Stamm und wurde aus Cider, Bier und Wein isoliert. D. bruxellensis spielt auch bei der Herstellung von Lambics und Gueuzes und auch bei Kombucha eine Rolle. In der Brauerszene sind zwei Stämme dieser Spezies weitverbreitet: Brettanomyces bruxellensis und Brettanomyces lambicus. Wie schon erwähnt sind die beiden Hefen taxonomisch gleich klassifiziert. Die beiden Stämme verhalten sich jedoch komplett verschieden. Zusätzlich, B. lambicus von White Labs und Wyeast sind verschiedene Stämme wie auch die B. bruxellensis Stämme von den beiden Anbietern.
  • B. custersianus wurde aus einem Bantu Bier isoliert. Diese Spezies wurde bisher nicht in Lambics und Gueuze nachgewiesen.
  • B. naardenensis wurde als Kontamination aus Limonade isoliert.
  • B. nanus wurde wurde als Kontamination aus Schwedischem und Deutschem Bier isoliert.

Der Auflistung ist einfach zu entnehmen, dass für die Bierherstellung die Vertreter der Spezies D. anomala und D. bruxellensis die wichtigsten Hefen sind. Obschon in der Zwischenzeit Hobbybrauer mit den letzten drei Spezies Biere hergestellt haben (siehe ECY).

Wie sehen Brettanomyces eigentlich aus?

Mikrographs

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Fig 3: Saccharomyces cerevisiae

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Fig 5: WY5226 Brettanomyces lambicus

wy5112

Fig 5: WY5112 Brettanomyces bruxellensis

eby010

Fig 5: EBY010 B. cantillon IV

Was macht Brettanomyces so speziell für die Bierherstellung?

PAD VPR Geschichte

conversionbrettanomyces

Ich möchte selber mit Brettanoymces brauen, was muss ich beachten?

blas

Woher bekomme ich Brettanomyces?

Bibliography

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  • Kurtzman, C.P., Fell, J.W., Boekhout, T., 2011. The Yeasts, a Taxonomic Study. Volume 1. Fifth edition. Elsevier (Link to sciencedirect)
  • Suárez, R., Suárez-Lepe, J.A., Morata, A. & Calderón, F., 2007. The production of ethylphenols in wine by yeast of the genera Brettanomyces and Dekkera: A review. Food Chem. 102, 10-21 (Link to sciencedirect)
  • Sparrow, J., 2005. Wild Brews: beer beyond the influence of brewer’s yeast. Brewers Publication (Link to amazon)
  • White, C., Zainasheff, J., 2010. Yeast: the practical guide to beer fermentation. Brewers Publication (Link to amazon)
  • Yakobson C, http://www.brettanomycesproject.com/dissertation/introduction/
  • Goffeau A., Barrell B.G., Bussey H., Davis R.W., Dujon B., Feldmann H., Galibert F., Hoheisel J.D., Jacq C., Johnston M., Louis E.J., Mewes H.W., Murakami Y., Philippsen P., Tettelin H., Oliver S.G. (2006), “Life with 6000 genes”, Science, Vol 274, 0. 546-567
  • East Coast Yeast, http://solarhomebrew.com/East_Coast_Yeast.html
  • http://www.cbs.knaw.nl/Collections/Biolomics.aspx?Table=CBS%20strain%20database
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